Nahverkehrsplan für die Universitätsstadt Marburg 2023 – 2028 (Move 35)

Rede des Stadtverordneten Lukas Ramsaier in der Stadtverordnetenversammlung vom 29.09.2023
©Sabine Matzen

Liebe Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr verehrte Zuhörer*innen,

Drei Minuten für die Einbringung eines 225-seitigen Nahverkehrsplans– das ist sportlich bis unmöglich. Denn dieses Jahr reichen eigentlich keine Plattitüden wie „pointierte Verbesserungen“ oder die schlichte Erklärung der Neukonzeption von ein oder zwei Stadtbuslinien. Nein: Bei diesem Nahverkehrsplan – und das ist von meiner Seite aus der Dritte, den ich als Bewohner*in Marburgs miterlebe – kann man mit gutem Gewissen von einer Revolution sprechen. Olaf Scholz würde sagen: Es ist ein „Doppel-WUMMS“!

Warum das so ist, wird einem schnell klar, wenn man die Liniensteckbriefe innerhalb des Nahverkehrsplans mit dem Status Quo vergleicht: Hier fällt sicherlich als aller erstes der geplante Halbstundentakt in der Hauptverkehrszeit in die Außenstadtteile ins


Auge: 30 Minuten gleichen einer Revolution. Das heißt: Wenn ich aus dem Kaufhaus Ahrens auf die Gutenbergstraße trete, wieder nachhause in die Außenstadtteile will, dann warte ich entweder 0, 1, 2 etc. oder auch 28, 29, 30 Minuten. Macht im Schnitt: 15 Minuten. Mal mehr, mal weniger. Aber bisher waren es 30 Minuten allein im Schnitt. Das ist zugegebenermaßen nicht wirklich attraktiv, um das Auto auch mal an kalten Novembertagen stehen zu lassen und mit dem Bus zum Einkaufen in die Stadt zu fahre

Aber es ist nicht nur der Takt: Auch wird das Angebot massiv ausgeweitet. Es scheint absurd: Aber vor 14 Uhr kommt man mit den Öffentlichen beispielsweise momentan weder rein noch raus aus der Stadt. Auch hier setzt der Nahverkehrsplan an: Erste Busse verkehren sonntags ab 10 Uhr; die Bedienung erfolgt künftig an allen Tagen bis 1 Uhr nachts – und das dann ganz komfortabel mit dem Linienbus. Und dazu teilweise auch auf neuen Verbindungen: Von Moischt und Schröck geht es dank neuer Linienführung über die Zahlbach zukünftig mehr als doppelt so schnell in die Innenstadt. Aus Bauerbach und Ginseldorf kommt man zukünftig auch nach Schröck mit dem Bus und die westlichen Stadtteile bekommen perspektivisch mit der angedachten Verlängerung der Linie 5 eventuell ebenfalls eine neue Direktverbindung zu den Behringwerken und in die Marbach sowie in diesem Fall dann auch zum Hauptbahnhof.

Doch wird bei aller Euphorie für die Außenstadtteile in diesem Plan oft übersehen, dass auch die Kernstadt enorm profitiert. So wird die Bedienung auf den Linien 3, 6 und 8, die bislang werktags und Samstagabends gegen 20 Uhr endete sowie sonntags komplett auf ASTs umgestellt wurde, ebenfalls auf sämtliche Betriebszeiten mit Bussen ausgeweitet. Dadurch bekommen die das innere Südviertel (Linie 3), das vordere Ockershausen (Linie 8) sowie der Ortenberg (durch die Umschichtung auf die Linie 2) sowie auch der Bereich rund um die Adolf-Reichwein-Schule/Cappeler Berg (Linie 6) nun endlich ein volles Busangebot an Abenden und Sonntagen. Zeit wird’s! Hierdurch steigt dann auch die Anzahl der Busse auf der Innenstadtachse in den Randzeiten automatisch. 30 Minuten Wartezeit auf den nächsten Bus vom Hauptbahnhof zum Rudolphsplatz wie es heute Sonntagabends der Fall ist – auch das dürfte dann Geschichte sein.

Aber zur Wahrheit gehört auch, dass alles das, was ich jetzt bejubelt habe, der Idealfall ist. Wenn wir all das umgesetzt bekommen, was wir uns mit diesem Nahverkehrsplan vorgenommen haben. Denn: Wir sind als Stadt Marburg mutig und geben zukünftig jährlich eine immense Mehrsumme an Geld aus, um diesen Nahverkehrsplan zu finanzieren. Weil es uns das wert ist! Und weil wir Wort halten. Wer mit MoVe35 die Anteile des MIVs am Gesamtverkehrsaufkommen senken möchte, der muss auch Alternativen aufzeigen. Das haben wir als Klimakoalition immer gewusst und das haben wir auch stets betont. Mit diesem Nahverkehrsplan halten wir Wort! Es ist der erste wirklich sichtbare Brocken, der uns in die Richtung Mobilitätsvision des MoVe35-Programms leitet!

Aber klar ist: Hierfür braucht es Busfahrer*innen. Ohne jemand, der vorne am Steuer sitzt, geht das Konzept nicht auf. Das gehört zur Wahrheit dazu. Aber wenn man gar nicht erst Visionen aufstellt, wo es hingehen soll, dann brauchen sich die Stadtwerke ja auch gar nicht erst die Mühe machen neue Busfahrer*innen in einem großen Ausmaß zu finden. Ohne verkehrspolitische Visionen, können wir doch gleich einen Schussstrich hinter die Verkehrswende ziehen. Und deshalb freue ich mich, dass die Stadtwerke mittlerweile proaktiv Personal suchen, die Arbeitsbedingungen verbessern und sich der hohen Priorität der Personalsuche mehr als nur bewusst sind.

Und deshalb meine Damen und Herren. Lassen Sie uns heute den Grundstein für die nächsten 5 Jahre ambitionierten Nahverkehrsausbaus legen! Und lassen sie uns vielleicht sogar in den nächsten Jahren einen gemeinsamen Schritt über den Taktausbau hinausgehen. Denn der Nahverkehrsplan zeigt auch noch einige Herausforderungen, die wir angehen sollten. So haben einige Stadtgebiete noch in keiner zumutbare Entfernung eine Bushaltestelle liegen. Hier müssen wir über eine Ausweitung alternativer, bedarfsgerechter Mobilitätsformen nachdenken. Gerade auch für die Höhengebiete der Stadt mit einem hohen Anteil an Seniorinnen und Senioren. Auch dürfen die Schnellbusse und Nachtbusse, die als „langfristiger Prüfauftrag“ vermerkt sind, gerne schneller kommen. Und auch die diagnostizierte schlechte Vertaktung zwischen Bus und Bahn am Hauptbahnhof darf gerne schneller ausgebaut werden. Daher: Heute beschließen; aber die nächsten Jahre nicht schlafen, sondern den Busverkehr stetig evaluieren und gemeinsam im Sinne der Stadt und der Verkehrswende zügig noch weiter verbessern.

Ich freu mich drauf!

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